Berlin-Spandau, am 13. September 1981:
Die Mauer steht seit 20 Jahren und ihr Fall ist nicht abzusehen. Ein junger Grenzsoldat - am 13. Januar 1961 geboren und damit nur unwesentlich älter als das scheußliche "Bauwerk",
das er bewachen soll - trägt schon seit einer ganzen Zeit Fluchtgedanken in sich. Er dient beim Grenzkommando Mitte im Grenzregiment 34 "Hanno Günter" und ist in Groß-Glienicke,
nahe der "Zonengrenze" zu Berlin-Spandau und wartet auf eine passende Gelegenheit zur Fahnen-und Republikflucht. Diese Nacht soll es soweit sein. Er hat auf einem Wachturm
in der Nähe der heutigen Bushaltestelle "Karolinenhöhe" (Linien 135, 638 und 639) Dienst und beobachtet mit seinem "Postenführer" die Bewegungen an der Staatsgrenze.
Da nachts kein Sichtkontakt zum nächsten Wachturm besteht, führen zusätzliche Patroullien regelmäßg ihre Kontrollfahrten durch. Als sein Vorgesetzter einen Augenblick unachtsam ist,
zieht er ihm die AK47 über den Kopf und schlägt ihn so nieder. Er hat nur fünf Minuten Zeit bis die nächste Patroullie kommt und er auffliegt und unweigerlich ins Zuchthaus käme.
Also vom Turm runter als wäre der Leibhaftige hinter ihm her und eine Leiter geschnappt, die wegen Arbeiten an der "Staatsgrenze" dort ziemlich leichtsinnig liegen gelassen wurde.
Die Leiter an die Schandmauer gestellt und rauf, ein einziger Sprung und er ist in der Freiheit. Er landet ziemlich unsanft nach dem Sprung aus immerhin 4,50 Meter Höhe und rennt, in
der Angst, dass seine Flucht mittlerweile bemerkt wurde, ohne sich auch nur einmal umzudrehen bis zur Kreuzung Weinmeisterhornweg Ecke Wilhelmstraße. Er verschnauft kurz und
läuft, da niemand auf der Straße ist, die Wilhelmstraße weiter in Richtung Heerstraße. Es ist kurz vor Mitternacht und er entdeckt an der Ecke Rodensteinstraße eine Telefonzelle.
Der Soldat versucht nun den Notruf "110" zu wählen, da er annimmt, dass dieser wie in DDR damals schon üblich, kostenlos zu wählen wäre. Pustekuchen und die nötigen 20 Pfennig
Westgeld hatte er naturgemäß nicht in der Tasche...
Jetzt kommt die "13" das dritte Mal ins Spiel, diesmal als Buslinie. Mein Großvater fuhr um 23Uhr55 an der Endstelle Weinmeisterhornweg los und fuhr nun die Wilhelmstraße Richtung
Heerstraße entlang. Lediglich zwei ältere Damen waren leicht beschwipst an der Endstelle in der Kattfusstraße zugestiegen. Da an der Rodensteinstraße niemand stand, sollte es zügig
weitergehen, aber der Mann in der DDR-Uniform und geschulterter Maschinenpistole zog die Aufmerksamkeit doch irgendwie an. Mein Großvater hielt stark bremsend den Wagen an und
ging zur Telefonzelle. Der Soldat wählte immer noch vergeblich fortlaufend die "110". "Kann ick dir helfen? Kommste friedlich oder ist Kriech?". "Ich hab grade rübergemacht und will die
Polizei anrufen, muss mich ja melden!", sagte der Grenzer. "Na denn erstmal herzlichen Glückwunsch und herzlich Willkommen im Westen, komm mal mit, ick ruf die Schmiere per Funk her,
ohne Westjeld wird dit nämlich nüschte!" Der Soldat und mein Großvater gingen zum Bus und die beiden älteren Damen glaubten ihren Augen kaum: "Wat macht denn der hier, Invasion?".
"Nur die Ruhe, Ladies! Der junge Mann ist jrade über de Mauer jeklettert! Ick ruf jetzt mal nen Funkwajen, das dauert jetzt ein paar Minuten!". Er schaltete das Funkgerät statt auf den für
Linie 13 üblichen Kanal 4 auf Kanal 3. "Bevauje drei, bitte kommen!". "Bevaujeh drei hört, Wajen 3001!". "Ick steh hier als 13er anne Ecke Wilhelmstraße und Rodensteinstraße und bräuchte
mal nen Funkwajen!". "Watten los?", fragte die Leitstelle. "Dit jloobste mir nie!". "Ick bin ne Menge jewöhnt!". "Ick hab hier nen Grenzer, der ist jrade jeflohn und will sich nun bei der Polizei melden!"
"Kolleje, willste mir veräppeln?", antwortete der Verkehrsmeister in der Leitstelle. "Wenn ick dir dit saje! Der hat sojar noch seine Kalaschnikow bei!". "Jut, ick ruf mal die Grünen an! Sachen gibts!
Ende!" Nach zehn Minuten kam die Polizei an und begrüßten den Soldaten ebenfalls in Berlin (West). Sie nahmen die Personalien auf und beschlagnahmten die Waffe (da diese DDR-Eigentum war,
wurde sie später zurückgeschickt). Mein Großvater gab dem Soldaten seine Adresse und es besteht bis heute ein recht enger Kontakt zwischen den Beiden. Als der Verkehrsmeister am U-Bahnhof Tegel nach dem Grund für die Verspätung fragte, sagte mein Großvater nur: "Zwischenfall anne Jrenze!". Der Verkehrsmeister schüttelte nur ungläubig den Kopf...
Der ehemalige Grenzer lebt heute in Stuttgart und fährt täglich mit der Stadtbahn zur Arbeit - natürlich mit der U13...
Wenige Tage später (am 22. September 1981), starb der 18jährige Klaus-Jürgen Rattay auf der Kreuzung Potsdamer Straße/ Bülowstraße bei einem Polizeieinsatz gegen die Hausbesetzerszene,
als er unter einen Linienbus der Linie 48E geriet. Diese Geschichte bitte ich selbst zu recherchieren, aus Rücksicht auf die Betroffenen und Hinterbliebenen wird von mir dazu keine Geschichte kommen.
Vielen Dank an Ingo B., der mir gestattet seine Geschichte hier zu veröffentlichen!