Nachtdienst anno 1989

Nach den Geschichten zum Früh-und zum Nachtdienst hier nun der dritte Teil:

Nachtdienst anno 1989

Es ist 0:45Uhr als ich in der Kantine stehe. „Mistding!“, fluche ich und trete gegen den Kaffeeautomaten. Endlich fällt der Becher nach unten und der Kaffee läuft. „Warum nicht gleich so?“, murmele ich
und setze mich zu den Kollegen. „Wat hasten?“, fragt mich ein Kollege. „Komm grade vom 34er und jetzt geht’s auf 13N, den Zweiten. 1:10Uhr ab Stadtgrenze. Tauscht Eener mit mir?“.
„Nee, lass man jut sein. Ick hatte erst letzte Woche Doppeldienst!“, winkt er ab. Ich verabschiede mich und gehe zu in die Schilderkammer. Dann laufe ich mit dem Seitenschild unter dem Arm und meiner Tasche zu meinem schon am Ablauf* stehenden „Arbeitsgerät“. Der D89 Nummer 3730 ist der Wagen auf dem ich die nächsten vier Stunden verbringen werde. Vorher saß ich auf 3313 und habe von 20:30Uhr bis 0:35Uhr den 34er gefahren. Doch das war nicht der erste Bus, den ich heute fuhr. Von 3:57Uhr bis 9:50Uhr hab ich den ersten Wagen der Linie 97 durch Spandau gelenkt.
„Wer den Doppeldienst erfunden hat, hat keine Nachbarn mit Bohrmaschinen!“, schimpfe ich, an den recht schlaflosen Nachmittag denkend, vor mich hin. Erst der Gedanke an die drei freien Tage
nach dem Nachtdienst stimmt mich versöhnlicher. Taste “M“ gedrückt – äh natürlich den Anlasser betätigt, den Gang eingelegt und die Handbremse gelöst. Dann geht es ans Funkgerät:
„Bevauje Drei, bitte kommen!“. „Bevauje Drei hört, 3730!“, meldet sich die Leitstelle. „13N, der Zweite meldet sich an!“, sage ich. „Verstanden 3730, Danke und Ende!“. Ich fahre vor zum Pförtner,
öffne das Seitenfenster und melde mich am Mikro ab: “Wajen 3730 uff 13N, dem Zweeten meldet sich ab!“. „Allet klar, jute Fahrt!“, entgegnet der Pförtner und trägt mich danach in die Torkontrollliste ein, in der alle Ein- und Ausfahrten von Linienbussen des Betriebshof Spandaus geschrieben werden müssen. Es ist 0:57Uhr, ich setze den Blinker und fahre über die Straßen Am Omnibushof, Wilhelmstraße, Heerstraße und Gärtnereiring zur Endstelle „Heerstraße/ Stadtgrenze“. 91304 und Route 02 ins IBIS gedrückt. Um 1:10 Uhr geht es los. An der Heerstraße/ Magistratsweg gibt es zwei Minuten Wartezeit um Anschluss zum 94N, vom Heidebergplan kommend, zu gewähren. Bis zum Rathaus Spandau steigt kaum jemand ein. Am Rathaus Spandau steigen zwar ein paar Nachtschwärmer ein, aber mehr als zehn Fahrgäste gleichzeitig sollen es auf dieser Fahrt nicht werden.
Am Rathaus Spandau habe ich mich natürlich wie vorgeschrieben bei der Leitstelle zur Anschlusssicherung gemeldet. Erst wenn alle Wagen da sind, wird die Fahrt freigegeben.
Hat ein Wagen eine größere Verspätung, wird der Fahrer gebeten seine Fahrgäste zu fragen, ob und wohin sie möchten. Nach Möglichkeit werden diese Busse dann noch ein paar Minuten festgehalten. Am Kabelwerk (heute „Gartenfeld“) sind noch einmal zwei Minuten Aufenthalt um die Fahrgäste der Linie 23N mitzunehmen. Punkt 1:47Uhr geht es weiter und nach 23 Minuten ist die Endstelle
U-Bahnhof Tegel/ Gabrielenstraße erreicht. Um 2:23Uhr fahre ich dort wieder ab und um 2:59Uhr stehe ich wieder am Rathaus Spandau. Natürlich melde ich mich wieder und da alle Linien pünktlich sind,
geht es um 3:02Uhr weiter in Richtung Stadtgrenze.
Am Brunsbütteler Damm kommt ein Fahrgast zu mir und meldet, dass der Bus im Oberdeck „stark verschmutzt“ sei. Handbremse angezogen und nach oben gegangen. Schon auf der Treppe schlägt mir der Geruch nach unverdautem Essen gemischt mit viel Alkohol entgegen. Schnell die Fenster aufgerissen und ein flüchtiger Blick zeigt mir, dass es leider nicht nur den Fußboden ist erwischt hat, sondern auch ein Sitzpolster. Also fluchend ob des schon ausgestiegenen Suffkopps wieder die Treppe runter und ran an das Funkgerät: “Bevauje Drei, bitte kommen!“. „Bevauje Drei, hört 3730!“.
„Ick bräuchte mal nen Wechselwagen zur Stadtgrenze, nächste Abfahrt ist 3:40Uhr!“, sage ich. Da der Verkehrsmeister in der Leitstelle weiß, was in den Nächten gerne mal vorkommt, schlussfolgert er richtig: „Vollgekotzt, wat?“. Ich: „Ja, leider!“. „Jut, ich ruf auf Spandau an und sag Bescheid, Ende!“. Mit zwei Minuten Verspätung komme ich um 3:19Uhr an der Stadtgrenze an und warte auf den Wechselwagen. Abgeschildert und meine Sachen gepackt warte ich vor dem Bus auf das neue Auto. Gegen 3:30Uhr kommt der Kollege dann an und ruft mir entgegen:“ Du kannst uns auch nicht sitzen sehen, wa?“. „Nee, ick hab extra drum gebeten, dass mir eener den Salon vollgöbelt!“. „Dit habe ick mir jedacht, wo issn dit Malör?“. „Im Oberdeck hinten, vorletzte Reihe. Und jetzt pfeif ab und bring den Kotzeimer nach Hause!“. „Allet klar, Chef! Versuch mal deinen Rennwagen jetzt sauber zuhalten!“. Ich setze mich in mein „neues Auto“ mit der Nummer 3530 und bring das Seitenschild an.
Dann geht es wieder ans Funkgerät und ich melde mich erneut an. Um 3:40Uhr geht es wieder los und um 4:40Uhr komme ich am U-Bahnhof Tegel an. Betriebsfahrt geschildert und ab geht die wilde Jagd.. Ohne den Umweg über Borsigwalde geht’s mit Vollgas durch Tegel-Süd den Tegeler Wald und ab Richtung Betriebshof Spandau. Ehrensache, dass unterwegs wartende Kollegen mitgenommen werden.
Um kurz nach 5:00Uhr erreiche ich müde den Betriebshof. Beim Pförtner wieder angemeldet und die Kollegen aussteigen lassen. Dann geht Richtung Schaffnerraum und schnell die Abrechnung erledigt.
Ein paar Worte noch mit den Kollegen gewechselt und dann geht es mit dem Auto nach Hause. Als meine Frau mich fragt, ob was Besonderes war, antworte ich nur lächelnd:
“Ein ganz normaler Nachtdienst…!“. Todmüde gehe ich ins Bett und schlafe mich erstmal richtig aus.


*Als „Ablauf“ wurde der Bereich nahe der Einfahrt bezeichnet, an dem die Hoffahrer die Wagen bereit stellten, die bald zur Abfahrt vorgesehen waren.
Dazu zählten die Nachtmittagsverstärker und die Nachtwagen. Morgens wäre das wegen der Fülle der Abfahrten nicht möglich gewesen.

Wieder mal ne sehr interessante Geschichte, aber, dass wegen solch einer "Verschmutzung" gleich ein Wechselwagen genommen wird?

busfreak schrieb:

Wieder mal ne sehr interessante Geschichte, aber, dass wegen solch einer "Verschmutzung" gleich ein Wechselwagen genommen wird?

Natürlich wird jeder vollgekotzte Wagen ersetzt! Den Fahrgästen ist diese Verschmutzung und dieser Geruch nicht zuzumuten!

Auch ich finde sie sehr interessant. Heute entfällt das Melden, ob man pünktlich ist oder? Hier in Hamburg kann die Leitstelle zumindest genau sehen, wo welcher Bus ist und die Anschlüsse so herstellen.

Christianb schrieb:

Auch ich finde sie sehr interessant. Heute entfällt das Melden, ob man pünktlich ist oder? Hier in Hamburg kann die Leitstelle zumindest genau sehen, wo welcher Bus ist und die Anschlüsse so herstellen.

Heute gibt es dieses Melden nicht mehr, nein. Dank RBL weiß ja die Leitstelle, wo welcher Wagen ist.

In Zonenzeiten wurde Grünspan über die Kotze gehauen und fertig der Lack ^^ Nach 'ner gewissen Zeit wurde es dann rausgekehrt. In den Zeiten gab es hier aber auch immer Stammbesetzungen auf einem Bus, da fuhren quasi immer 2/3 Mann ein und denselben Bus - das hatte den Vorteil, dass der Bus gepflegter war und auch nicht so runtergeritten wurde. Nach der Wende änderte man dies aber und vollgekotzte Wagen wurden auch ausgetauscht etc. Aber die Geschichten gefallen, denkst Du dir das alles aus? :O)

Kamaz schrieb:

In Zonenzeiten wurde Grünspan über die Kotze gehauen und fertig der Lack ^^ Nach 'ner gewissen Zeit wurde es dann rausgekehrt. In den Zeiten gab es hier aber auch immer Stammbesetzungen auf einem Bus, da fuhren quasi immer 2/3 Mann ein und denselben Bus - das hatte den Vorteil, dass der Bus gepflegter war und auch nicht so runtergeritten wurde. Nach der Wende änderte man dies aber und vollgekotzte Wagen wurden auch ausgetauscht etc. Aber die Geschichten gefallen, denkst Du dir das alles aus? :O)

Joar, früher wurde in Berlin auch Sand genommen und der Mist dann rausgefegt. Allerdings ging das nicht, wenn die Polstersitze verschmutzt waren.

Der betriebstechnsiche Ablauf der Geschichten stimmt bis ins Detail. Allerdings wurden Namen, Nummern, Orte und Zeiten frei gewählt.

Super Geschichte, wirklich sehr interessant! Bei uns in Augsburg werden vollgekotzte Wagen aber auch nicht ausgewechselt. Da macht der Fahrer Meldung an die Leitstelle und an der größten Haltestelle Augsburgs, bzw. dem Knotenpunkt wartet dann ein Putzteam wo den Bus dann reinigt. Der Wagen hat dann zwar 13 Minuten Verspätung aber das ist in Augsburg fast schon normal.

@ Staakener

Die Ikarus Busse hatten Lederbezüge ;O) Der erste Einstieg war zudem nicht für die Fahrgäste, meist hatte man da nur einen Türflügel als "Fahrereingang" genutzt und im Türschacht Putzzeug wie Besen, Kehrzeug etc gebunkert.
Ajo, mich wundert es halt, weil es vom Deinem Alter her ned ganz hinkommt.

Skydriver12 schrieb:

Super Geschichte, wirklich sehr interessant! Bei uns in Augsburg werden vollgekotzte Wagen aber auch nicht ausgewechselt. Da macht der Fahrer Meldung an die Leitstelle und an der größten Haltestelle Augsburgs, bzw. dem Knotenpunkt wartet dann ein Putzteam wo den Bus dann reinigt. Der Wagen hat dann zwar 13 Minuten Verspätung aber das ist in Augsburg fast schon normal.

Augsburg ist ja auch ein bisschen kleiner als Berlin, nech? Bei der Fülle von Linien und Strecken wäre ein Team da völlig überfordert.

Kamaz schrieb:

@ Staakener

Die Ikarus Busse hatten Lederbezüge ;O) Der erste Einstieg war zudem nicht für die Fahrgäste, meist hatte man da nur einen Türflügel als "Fahrereingang" genutzt und im Türschacht Putzzeug wie Besen, Kehrzeug etc gebunkert.

Einen Besen hat auch in Berlin jeder Bus hinter dem Fahrersitz um z.B. mal im Herbst/ Winter den Dreck aus den Wagen zu fegen.

Kamaz schrieb:

Ajo, mich wundert es halt, weil es vom Deinem Alter her ned ganz hinkommt.

Dank der häufigen Besuche bei meinem Großvater "auf Linie" damals, bin ich halt gut informiert...

Super Geschichte

Staakener schrieb:

Einen Besen hat auch in Berlin jeder Bus hinter dem Fahrersitz um z.B. mal im Herbst/ Winter den Dreck aus den Wagen zu fegen

Irgendwie sah ich das zufällig nur bei den Solarisen

zavage schrieb:

Super Geschichte

Danke.

zavage schrieb:

Irgendwie sah ich das zufällig nur bei den Solarisen

Gehört aber zur Grundausstattung jedes BVG-Busses.

Staakener, Deine Geschichten sind einfach klasse!!

Sauerland schrieb:

Staakener, Deine Geschichten sind einfach klasse!!

Auch dir sei fürs Feedback gedankt.

Hab ja noch ein paar Sachen auf dem PC "schlummern"...

Noch mehr? Dann immer her damit.

Sehe ich genau so!! Immer her damit!

@Dario: Hurtig!

Ruhig Blut, Jungs.

Ich verschieß doch nicht mein ganzes Pulver an einem Tag. Ein bisschen Geduld werdet ihr nocht haben müssen...

Wenn das so weiter geht, kannste ja bald ein Buch mit deinen Geschichten schreiben ;-)

busfreak schrieb:

Wenn das so weiter geht, kannste ja bald ein Buch mit deinen Geschichten schreiben ;-)

Das würde kein Mensch kaufen.

Ich würd's mir mal überlegen...

Mal wieder 'ne super Geschichte! Weiter so!

faaabiiii schrieb:

Ich würd's mir mal überlegen...

Mal wieder 'ne super Geschichte! Weiter so!

Auch dir sei gedankt. Naja, ich bin ja noch jung. Mal schauen...